Wir sind gut, aber wir müssen besser werden"
Jens Kotlarski, voraus robotik, über Software als Innovationstreiber der Robotik und die Entwicklung der Branche in der Region
Zur Person: Jens Kotlarski
Dr.-Ing. Jens Kotlarski, Maschinenbauer, promovierte 2012 über Robotik an der Leibniz Universität Hannover (LUH), forschte dort am Institut für Mechatronische Systeme. Noch an der Universität gründete er 2012 die FORWARDttc, eines der ersten auf Robotik spezialisierten Unternehmen in der Region. 2017 verließ er die LUH. Als Mitbegründer wurde er Geschäftsführer von Yuanda Robotics und 2022 von voraus robotik.
Sie kennen beide Welten: Forschung und Wirtschaft.
An der Uni geht es um Grundlagenforschung, um Prototypen. Der konkrete Einsatz steht nicht notwendigerweise im Vordergrund, auch wenn es Kooperationen mit Firmen gibt. Im Unternehmen müssen wir uns darum kümmern, Ideen marktreif und wirtschaftlich tragfähig zu machen. Dazu gehören auch forschungsferne Themen: Testreihen, Evaluierung und Zertifizierung.
Das kostet viel Zeit, sodass Sie sich entscheiden mussten: Hochschule oder Wirtschaft.
Viele Jahre ging es parallel: Ich forschte an der Uni, gründete aber mit Kollegen aus dem Institut in Hannover die FORWARDttc. Es ging um Wissens- und Technologietransfer aus der Forschung in die Industrie. Dort haben wir konkrete Anwendungen unter anderem in der Automotive-Branche umgesetzt, aber auch bei bekannten Roboterherstellern. Aus der FORWARDttc heraus haben wir mit Hilfe eines Investors ein weiteres Unternehmen gegründet.
Das war 2017 Yuanda Robotics, Hannovers erster Roboterhersteller, der bereits wieder Geschichte ist.
Wir hatten bis zu 90 Beschäftige an zwei Standorten in China für die Produktion und eben in Hannover, wo Zentrale sowie Forschung und Entwicklung angesiedelt waren. 2021 kam nach jahrelanger Entwicklung unser kollaborativer Roboter Yu erfolgreich an den Markt. Aufgrund einer Verkettung von unglücklichen Ereignissen, die schlussendlich in fehlenden Investitionsmitteln resultierten, konnten wir die Yuanda Robotics leider nicht weiterführen.
Aber Sie und andere haben weitergemacht: Sie haben die Konkursmasse aufgekauft und damit voraus robotik gegründet. Das ist Hannovers erstes Unternehmen, das Robotik-Software entwickelt.
Ja, wir haben die Technologien und die Software des Yuanda-Roboters genommen, um mit dem bestehenden Team ein modernes, hardware agnostisches Betriebssystem für die Robotik zu entwickeln. Damit können wir ein Fall für die Geschichtsbücher werden.
Bislang laufen Roboter ja auf typweise spezialisierten Systemen ohne grafische Benutzeroberfläche. Das wollen Sie ändern.
Weil diese Systeme unbequem zu bedienen sind. Weil die Programmierung jeden Robotertyps neu erlernt muss. Das frisst Ressourcen, ist unflexibel, zeitaufwendig und teuer. Wir haben deshalb ein Betriebssystem entwickelt, das mit Android vergleichbar ist: standardisiert, offen, mit grafischer Oberfläche und mit Apps, die man sich runterladen kann.
Das heißt: Wenn der Roboter schrauben soll, lädt der Bediener eine Schraub-App runter. Wenn er schweißen soll, tauscht er den Aufsatz aus und installiert die Schweiß-App.
Genau. Für jede Anwendung gibt es eigene Apps, ganz gleich, ob es nun um Materialbearbeitung geht (Schweißen, Drehen, Hobeln) oder um Materialtransport (Sortieren, Bestücken, Beladen). Diese Apps passen auf alle Robotertypen und ermöglichen durch ihre Spezialisierung eine optimale Steuerung. Die grafische Oberfläche sorgt dafür, dass das Bedienpersonal nicht aufwendig geschult werden muss.
2023 kommt die Software auf den Markt?
Derzeit testen wir die Integration und Anwendung bei verschiedenen Roboterherstellern. Anfang 2023 wird sie mit den Robotern dieser Hersteller ausgeliefert.
Wo sehen Sie die Region heute in Sachen Robotik?
Bei der Bildung liegt sie sicher ganz vorn. Die Region Hannover ist sehr aktiv. Aber um mit anderen Robotik-Standorten wie München mithalten zu können, braucht es deutlich mehr Engagement, auch auf Landesebene. Wir brauchen Köpfe mit Strahlkraft an den Hochschulen und mehr Unterstützung für die Forschung. Ich würde auch raten, die verschiedenen Stränge der Nachwuchs- und Fachkräfteförderung stärker zu bündeln. Wir sind gut, aber wir müssen besser werden – und deutlich mehr Risikokapital gewinnen.
Welche Bedeutung sollte dabei der kollaborativen Robotik zukommen?
„Cobots“, also kollaborative Roboter, können durch ihre spezielle Sensorik auf Menschen in ihrer Nähe Rücksicht nehmen. Das ist ihre Stärke, das macht ihren Charme aus, auch in der Bildungsarbeit mit Kindern und Jugendlichen. In der klassischen Industrie aber bleiben sie eine Nische. In der Regel arbeiten Cobots nur bei der Einrichtung direkt mit Menschen zusammen und sind dann wieder solo. Klassische Roboter machen weiterhin 90 % des Marktes aus und bleiben entsprechend auf absehbare Zeit der Schwerpunkt, zumindest in der Industrie.
Aber sie müssen flexibler werden, um Inbetriebnahmen und Umrüstzeiten zu verkürzen.
. . . weil das massive Kostentreiber sind! Roboter selbst sind günstig geworden. Doch die Vorbereitung auf den konkreten Einsatz braucht knappe Ressourcen, vor allem hochqualifizierte Programmierer und Inbetriebnehmer. Daher unsere Software und daher auch der Vormarsch künstlicher Intelligenz.
In Kombination mit moderner Sensorik können wir dadurch Roboter einfach in die Lage versetzen, zwischen Farben und Formen, aber auch zwischen verschiedenartigen Oberflächen zu unterscheiden. So lassen sich beliebige Roboter ohne umständliche und langwierige Programmierung auf neue Aufgaben vorbereiten oder an die laufende Produktion anpassen. Diese Flexibilität und Schnelligkeit braucht moderne Produktion.
SCHÖNER SCHNEIDEN!
Chirurgie mit OP-Robotern von avateramedical
2020 gründete das Jenaer Unternehmen avateramedical ein Tochterunternehmen in Hannover, um die Entwicklung seines robotergestützten Operationssystems für minimalinvasive Eingriffe voranzutreiben: die avateramedical Digital Solutions. Ein Schwerpunkt ist die Softwareentwicklung für die Steuerung, Bildverarbeitung und Integration des Chirurgiesystems in den Operationsaal. „Ähnlich wie beim Da-Vinci-System steuert der Operateur im OP-Saal den Roboter mittels Joysticks und 3D-Bildgebung extrem sicher und präzise“, erklärt Tobias Ortmaier, der lange Jahre das Institut für Mechatronische Systeme der LUH leitete. Anders als Da Vinci aber setzt das Unternehmen auf Einweginstrumente, um die notwendigen Personalressourcen für deren hygienische Wiederaufbereitung zu sparen.
Auch soll die neue Generation von Robotern über Gynäkologie und Urologie hinaus im Thorax-Bereich und anderswo zum Einsatz kommen und im Gewebe verborgene Blutgefäße sichtbar machen. In der Region Hannover ist ein avateramedical-Roboter seit 2022 in der Urologie des Vinzenzkrankenhaus im Einsatz.
BESSER HÖREN!
Roboterunterstützter Einsatz von Cochlear-Implantaten
Um Cochlea-Implantate sicher und kosteneffektiv einsetzen zu können, gründete ein Erfinder-Team um Robotik-Forscher Tobias Ortmaier, Hörforscher Thomas Lenarz und den Informatiker Samuel John gemeinsam mit einem Implantat-Hersteller 2018 die OtoJig. Ein speziell entwickelter Parallel-Roboter fertigt patientenindividuelle Schablonen in OP-Nähe an. „Diese Schablonen ermöglichen es uns, den offenen, belastenden chirurgischen Eingriff durch eine minimalinvasive Stichkanalbohrung zu ersetzen, weil der chirurgische Bohrer über eine fest definierte Achse bis vor das Innenohr hochgenau geführt wird.“, erklärt Geschäftsführer Samuel John. Derzeit läuft eine Pilotstudie der MHH, in deren Rahmen die ersten sieben robotisch angefertigten Schablonen erfolgreich am Menschen zum Einsatz kommen. Der Marktstart ist für das Jahr 2024 geplant.
Die Robotik-Region Hannover im Überblick
Forschung:
Leibniz Universität Hannover (LUH) mit dem Institut für Mechatronische Systeme (imes), dem Institut für Montagetechnik (Match) und dem Institut für Regelungstechnik (IRT). Hochschule Hannover (HsH) mit der Fakultät I – Elektro- und Informationstechnik und ihrem Forschungscluster Industrie 4.0 sowie der Fakultät II – Maschinenbau und dem Labor für Industrieroboter.
Unternehmen mit Schwerpunkt Robotik:
avateramedical Digital Solutions (OP-Roboter). Bitmotec (Software für die Vernetzung von Produktion und Robotern). Engelking Schweißtechnik (Roboterschweißen). Fleertech (Kanalsanier-Robotik). Götting (Fahrerlose Transportsysteme). ibk IngenieurConsult (industrielle Automatisierung, Anlagenplanung und -bau, Robotikeinsatz). OtoJig (roboterunterstützter Einsatz von Cochlea-Implantaten). Synaos (Intralogistik/FTS). voraus robotik (Robotik-Software). TEWISS – Technik und Wissen (Unternehmen der LUH; Ingenieurleistungen, Sondermaschinenbau, Automatisierung; Schnittstelle zwischen Wissenschaft und Wirtschaft). Vision Lasertechnik (Geschäftsbereich Vision Robotik; Beratung, Robotikintegration und -adaption).
Gründungsförderung:
durch das imes für Studierende der LUH seit 2019 im Tutorium „Student Accelerator Robotics and Automation“ und für junge Unternehmen durch den von der Region Hannover geförderten „Robotics Incubator“ (Projekte 2022 abgeschlossen).
Angebote für Bildung und Implementierung:
Die Region Hannover unterstützt eine Vielfalt von Angeboten, die von der Schule über Ausbildung und Studium bis in die Unternehmen reichen und Bestandteil der Marke „Robotics City Hannover“ sind. Dazu kommt das von der Hochschule Hannover (HsH) selbst getragene Angebot „Zukunftshaus MINT“ und Angebote der Handwerkskammer (HWK) Hannover, der Industrie- und Handelskammer (IHK) Hannover und der Deutschen Messe (Technology Academy, gemeinsam mit der Volkswagen Academy) sowie der MHH (für Robotik in der Chirurgie).
Roberta RegioZentrum:
Es will Schülerinnen und Schüler im Alter von 9 bis 19 Jahren für Robotik und die mathematisch-naturwissenschaftlichen Fächer (MINT) begeistern: Spielerisch durch fortlaufende Angebote in Räumen der Roboterfabrik auf dem Gelände der Leibniz Universität, durch Teilnahme an internationalen Wettbewerben und Entwicklung und Durchführung des eigenen Wettbewerbs, der Roberta Challenge. Dazu kommt Unterstützung für Schulen vor Ort: Roberta Netzwerkschulen werden durch Erstausstattung mit Robotik-Bausätzen und die Robotik-Fortbildung von Lehrkräften gefördert.
Projekthaus Zukunft MINT:
Angebot der Hochschule Hannover (HsH) für Schülerinnen und Schüler aller Altersstufen sowie Lehrkräfte mit regelmäßigen Kursen in Räumen der HsH und in Schulen.
Roboterfabrik:
Ausbildungseinrichtung von Leibniz Universität und Region Hannover für Studierende unterschiedlicher Fachrichtungen, Schüler und Schülerinnen, Lehrkräfte, Unternehmen und Azubis. Das Angebot reicht von Einsteigerworkshops bis zu anspruchsvollen Hackathons, bei denen Studierende, teilweise in Kooperation mit Unternehmen, neue Anwendungen auf den Feldern Mensch-Roboter-Kollaboration und Mobile Robotik erarbeiten. Dazu kommt die Teilnahme des von der Roboterfabrik betreuten studentischen Robotik-Teams „luhbots“ an weltweiten Robotikwettbewerben wie dem RoboCup. Die Roboterfabrik arbeitet eng mit dem Roberta RegioZentrum zusammen und macht so gemeinsames Lernen von Studierenden, Schülerinnen und Schülern möglich.
Zentrum für Robotik im Gesundheitswesen (ZeRiG):
2021 Entstehung einer neuen, zweiten Roboterfabrik in Hannover in den Räumen des KRH Klinikum Nordstadt. Pflege- und anderes medizinisches Personal wird dort seit 2022 durch Workshops und (aktuell in Erprobung befindliche) IHK-Lehrgänge der Robokind Stiftung in Anwendungsmöglichkeiten der pflege- und laborunterstützenden Robotik eingeführt. Daneben dient das ZeRiG als Bildungsstandort für weitere Angebote der Robokind Stiftung.
Robospace:
Sie bringt mit ihren Coaches, Studierenden, Ingenieurinnen und Ingenieuren der LUH die Robotik in viele Schulen der Region und darüber hinaus. Die gemeinnützige Gesellschaft ist Bildungsträger für verschiedene Robotikprojekte von Region und Land Niedersachsen. Das Roberta RegioZentrum befindet sich in der Trägerschaft der Robospace.
Robokind Stiftung:
Die gemeinnützige Robokind Stiftung trägt den Ansatz eines durchgängigen Ausbildungskonzeptes nach ganz Niedersachsen und hat den Aufbau von Roboterfabriken nach dem Vorbild Hannovers unterstützt: in Lüneburg und Wilhelmshaven im Verbund mit örtlichen Hochschulen, in Neustadt a. Rübenberge in Kooperation mit der Berufsbildenden Schule Neustadt. Die Stiftung bietet Workshops und kostenlose Online-Lernformate an wie den Roboterführerschein, darüber hinaus selbst entwickelte 50-stündige vergünstigte IHK-Lehrgänge, also Robotikschulungen mit IHK-Zertifikat. Darin werden unter anderem Auszubildende und Fachkräfte von Mitarbeitenden der Stiftung dazu ausgebildet, die Einsatzmöglichkeiten von Cobots in ihren Unternehmen erkennen und realisieren zu können. Kostenlos wiederum sind die kürzeren Roboscouts-Lehrgänge, die 2023 starten: Dabei werden Azubis qualifiziert, Robotik und KI im Tandem mit einem Mitarbeitenden im Unternehmen voranzubringen. Angebote gibt es auch für Lehrkräfte allgemeinbildender Schulen und Berufsschulen: Sie werden fit gemacht, um eigene Robotikkurse an ihren Schulen geben zu können. Den Schülerinnen und Schülern ab der 9. Klasse dienen die Lehrgänge zur Berufsorientierung.
Robohub Niedersachsen:
Seit 2022 unterstützt das „Innovationslabor“ der Wirtschaftsförderung der Region Hannover, der LUH-Tochtergesellschaft Tewiss und des LUH-Instituts für Montagetechnik auf dem Garbsener Campus Maschinenbau kleine und mittelständische Handwerks- und Produktionsbetriebe beim Einsatz kollaborierender Roboter (Cobots). Dazu werden Fach- und Führungskräften entsprechende Workshops angeboten. Die Umsetzung in die Praxis wird von der Region Hannover finanziell unterstützt.
Titelbild: Die Robokind Stiftung trägt den Ansatz eines durchgängigen Ausbildungskonzeptes nach ganz Niedersachsen. Die Stiftung bietet u. a. Workshops und kostenlose Online-Lernformate an. Angebote gibt es auch für Lehrkräfte allgemeinbildender Schulen und Berufsschulen: Sie werden fit gemacht, um eigene Robotikkurse an ihren Schulen geben zu können. Den Schülerinnen und Schülern ab der 9. Klasse dienen die Lehrgänge zur Berufsorientierung. Foto: Robokind Stiftung