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Fachkräfte

Foto: Continental AG

FACHKRÄFTE ENTWICKELN UND HALTEN - AUSBILDUNG/DUALES STUDIUM ALS ZUKUNFTSSICHERES PROJEKT

Fachkräfte entwickeln und in der Region halten – das ist ein zentrales Thema der Gegenwart, auch für Mittelstand und Famili enunternehmen am Wirtschaftsstandort Hannover. „Bald kann man auch hier von einem flächendeckenden Fachkräftemangel sprechen, der sich durch alle Branchen zieht“, beschreibt Dr. Oliver Brandt, Teamleiter Beschäftigungsförderung der Region Hannover. Die aktuellen Prognosen sind alarmierend: Das Forschungsinstitut Prognos (Sitz in Basel, Schweiz) kommt zu dem Schluss, dass allein in Deutschland bis zum Jahr 2030 drei Millionen Fachkräfte fehlen könnten – falls Wirtschaft und Politik nicht gegensteuern.

In der Region Hannover hat man damit längst begonnen: Im Rahmen ihrer Wirtschaftsförderung hat die Region Hannover selbst eine Reihe von Projekten und Kooperationen entwickelt oder angeschoben, die zielgerichtete Impulse zur Fachkräfteentwicklung geben sollen. Im Fokus stehen dabei die wichtigen Themen Aus- und Weiterbildung, die Unternehmensnachfolge und die Vereinbarkeit von Familie und Beruf.

Willkommensservice für ausländische Fachkräfte

Eines der neusten Projekte der Region Hannover in diesem Zusammenhang hat den sympathischen Namen „Welcome to Hannover Region.“ Im Mittelpunkt steht die Gewinnung von Fachkräften, die aus Drittstaaten in die Region Hannover kommen. Das Projekt läuft in Kooperation mit der Bundesagentur für Arbeit (BA), der Industrie- und Handelskammer Hannover, der Handwerkskammer Hannover, der Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ), dem RKW Rationalisierungs- und Innovationszentrum der Deutschen Wirtschaft Nord und weiteren Partner*innen aus der Integrations­arbeit.

Die BA sucht in Drittstaaten ganz gezielt nach Fachkräften, die nach Deutschland und dort in die Region Hannover kommen möchten. „Im Moment konzentrieren wir uns hier zunächst auf die Länder ­Tunesien und Ägypten und die Branchen Sanitär, Heizung und ­Klima sowie Elektronik“, so der Leiter Beschäftigungsförderung der Region Hannover. Die Suche ist aufwändig, denn die Anforderungen an diese Fachkräfte sind hoch: Sie sollten einen in Deutschland voll- oder ­teilanerkannten Berufsabschluss und Berufserfahrung haben. Sie müssen außerdem, mindestens auf einem guten Niveau, Englisch oder Französisch sowie Deutsch sprechen und verstehen können. In der Region Hannover angekommen, kümmert sich das Projekt „Welcome to Hannover Region“ unterstützend ein halbes Jahr lang darum, dass der Einstieg der neuen Fachkraft in das Beschäftigungsverhältnis im Unternehmen reibungslos klappt. „Wir führen zum Beispiel Willkommensveranstaltungen durch, begleiten Behördengänge, organisieren weiterführende Sprachkurse für die Neuankömmlinge und Diversity- und Onboarding-Schulungen für die beteiligten Unternehmen“, beschreibt Dr. Oliver Brandt. Unternehmen, die sich für die akquirierten Fachkräfte interessieren, müssen lediglich die Kosten für den Flug nach Deutschland übernehmen und die Suche nach einer Wohnung unterstützen.

„Welcome to Region Hannover“ richtet sich sowohl an Unternehmen, die Fachkräfte suchen, als auch an Neuankömmlinge, die Orientierung benötigen für Arbeit und Leben in der Region. Das Projekt ist eines von 23 regionalen „Start Guide“-Projekten, die durch das Niedersächsische Ministerium für Wirtschaft, Arbeit, Verkehr und Digitalisierung gefördert werden.

Foto: Robert Kneschke/stockAdobe.com
Foto: Robert Kneschke/stockAdobe.com

Studienabbrecher*innen neue Perspektiven eröffnen

Ein weiteres zentrales Angebot ist „Umsteigen statt Aussteigen“, das aus dem Europäischen Sozialfonds (ESF) gefördert wird. „Mit unserem offenen, vertraulichen und kostenlosen Beratungsangebot ‚Umsteigen statt Aussteigen‘ eröffnen wir Studierenden, die an ihrem Studium zweifeln und über einen Abbruch oder einen Studiengangwechsel nachdenken, die Perspektive, einen Ausbildungsberuf zu ­erlernen“, sagt der Leiter Beschäftigungsförderung. Mehr als 220 junge Menschen, im Schnitt sind sie 26 Jahre alt, wurden über dieses Projekt bereits in Ausbildungsplätze oder Duale Studiengänge in der Region Hannover vermittelt.

 

Eine von ihnen ist Sina-Marie Dippel. Die heute 27-Jährige studierte bis 2020 an der Universität Bielefeld „Bioinformatik und Genomforschung“ – ein interessanter, aber auch extrem herausfordernder Studiengang. „In zwei Modulen hatte ich große Schwierigkeiten und habe die Prüfungen nicht geschafft“, erinnert sich die junge Frau. Trotzdem wollte sie ihr Studium unbedingt zu Ende bringen. Nach etlichen ­Semestern aber wurde es auch finanziell eng, eine Situation, in die viele Studierende in solchen Fällen geraten. Es folgte die Erkenntnis: Weiterstudieren macht keinen Sinn mehr. Doch was nun? „Ich dachte, ich hätte als Studienabbrecherin keine Chance auf dem Arbeitsmarkt“, sagt Sina-Marie Dippel. Ihre Schwester brachte ihr den Flyer von ­‚Umsteigen statt Aussteigen‘ mit. „Ich habe sofort in Hannover einen persönlichen Termin zur Beratung vereinbart. Schon beim ersten Treffen habe ich begriffen, dass meine Perspektiven gar nicht schlecht sind. Das war sehr erleichternd und hat mich persönlich gestärkt“. Sie bewarb sich bei einigen Unternehmen um eine Ausbildung zur ­Industriekauffrau – und hatte bei micronex, einem mittelständischen Unternehmen mit Sitz in Eldagsen, Erfolg. Im Juni 2022 hat sie ihre Ausbildung erfolgreich beendet, ist seither festangestellt in der Personalabteilung tätig und hat über das Projekt bereits eine weitere junge Studienabbrecherin als Auszubildende für micronex gewonnen.

micronex ist inzwischen selbst Teil des großen Kontaktnetzwerks von „Umsteigen statt Aussteigen“ – mehr als 320 aktive Ausbildungsunternehmen bieten über dieses Netzwerk über 1.300 freie Ausbildungs- und duale Studienplätze in der Region Hannover und den angrenzenden Landkreisen an. Partner*innen sind außerdem mehrere Hochschulen, die Arbeitsagentur, das Jobcenter, Kammern sowie Unternehmen ­aller beteiligten Regionen und die Wirtschaftsförderungen der benachbarten Landkreise Hildesheim, Nienburg und Schaumburg. Teil des Netzwerks zu sein, lohne sich sehr, bestätigt Geschäftsführer Torsten Bethke. Denn Studienabbrecher*innen brächten sehr viele Eigenschaften mit, die gut mit dem Ausbildungsangebot von micronex harmonierten: „Menschen, die in ein Studium starten, haben in der Regel eine sehr hohe Eigeninitiative und Eigenmotivation. Wenn sie das Studium abbrechen, entscheiden sie sich mit einer motivierten und positiven Grundeinstellung konkret für eine Ausbildung. Sie haben außerdem schon etwas mehr Lebenserfahrung gewonnen. Das alles passt gut zu den attraktiven Tätigkeiten in unserem Unternehmen, denn unsere Auszubildenden dürfen sehr schnell eigenverantwortlich arbeiten und auch größere, spannende Projekte betreuen “, beschreibt er. Eine „Win-win-Situation“ sei dies, in der, wenn alles gut läuft, Nachwuchskräfte ausgebildet werden, die – so wie Sina-Marie Dippel – gute Chancen auf eine Übernahme in ein festes Arbeitsverhältnis haben.

In den sieben Jahren Laufzeit als Modellprojekt wurden rund 630 ­Beratungen bei Studienzweifler*innen durchgeführt, sie wurden je etwa drei Monate lang begleitet. Im Juni 2022 wurde das Projekt als „Koordinierungsstelle Hochschule und Beruf“ in der Wirtschafts- und Beschäftigungsförderung der Region Hannover verstetigt. Dass sich dieser Schritt lohnen werde, zeigt die Statistik: Die Region Hannover wird deutschlandweit als Anlaufpunkt wahrgenommen. Mehr als die Hälfte der Hilfesuchenden kommt nicht aus der Region Hannover, sondern aus anderen Orten in Deutschland. Deswegen bietet eine ­erfolgreiche Beratung und Vermittlung auch die Chance, neue Fachkräfte zu Unternehmen in der Region zu holen und zu halten.

Nachwuchsgewinnung und Weiterbildung

Der Verein „ZUKUNFTINC. iniative, marktführer. hannover e. V.“ verfolgt einen weiteren erfolgreichen Ansatz: In diesem branchenübergreifenden Netzwerk engagieren sich zehn international marktführende Unternehmen, die in der Region Hannover ihren Stammsitz haben. Das sind zum Beispiel die VSM – Vereinigte Schmirgel- und Maschinen-Fabriken AG, die Heise Gruppe oder Sennheiser. Alle zehn weltweit ­tätigen Unternehmen werben zusammen um quali­fizierten Nachwuchs. Kern der Aktivitäten ist die gemeinsame Nachwuchs­gewinnung. So können über eine Online-Jobbörse auf der ­gemeinsamen Website (zukunft-inc.de) Schüler*innen, Studierende und Fachkräfte gezielt nach Praktikumsplätzen, Ausbildungsplätzen und sonstigen Stellenangeboten suchen. Die Netzwerkmitglieder stellen ihre ­Angebote dort ein. Das Netzwerk präsentiert sich aber auch auf Messen wie etwa der IdeenExpo, Europas größtem Jugend-Event für Technik und Naturwissenschaften, oder der Maker Faire Hannover gemeinsam. Wichtig ist auch der Erfahrungsaustausch zwischen den Mitglieds­unternehmen.

Der Verein, in dem die Region Hannover strategische Partnerin ist, möchte Fachkräfte binden und damit den Standort Region Hannover nachhaltig stärken. „Dieses Netzwerk hat sich gegründet, um zu zeigen, dass der Mittelstand in der Region ein attraktiverer Arbeitgeber ist als weithin bekannt wird“, erläutert Dr. Oliver Brandt. Es habe Strahlkraft weit über die Region Hannover hinaus. Über das Netzwerk haben die beteiligten Unternehmen die Möglichkeit, Schüler*innen, Studierenden und Fachkräften mit unterschiedlichen Bildungsabschlüssen eine vielversprechende berufliche Perspektive am Wirtschaftsstandort zu bieten. Jedes Unternehmen (Industrie, Handel, Verkehr, Dienstleis­tungen) mit Sitz oder Betriebsteil in der Region Hannover sowie einer internationalen Spitzenposition in seinem Marktsegment, kann Mitglied des Netzwerks werden und entrichtet einen Mitgliedsbeitrag.

Das Thema der im Jahr 2021 von der Region Hannover gebildeten ­Koordinierungsstelle „regioLab“, die vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales gefördert wird, ist die betriebliche Weiterbildung. Diese Koordinierungsstelle bietet gezielte Unterstützung für kleine und mittlere Unternehmen, die sich der digitalen Transformation stellen müssen. „Manche können das einfach nicht alleine stemmen. Mit ­ihnen gemeinsam erstellen wir einen maßgeschneiderten Weiter­bildungsfahrplan“, weiß der Leiter Beschäftigungsförderung. Außerdem helfe man ihnen dabei, sich mit anderen Unternehmen in der Region zu vernetzen und in Austausch zum Thema Weiterbildung zu kommen. Strategischer Partner an der Seite der Region Hannover ist VW Nutzfahrzeuge. In unterschiedlichen innovativen Veranstaltungsformaten können Betriebe voneinander lernen, erkennen, wo Weiterbildung nötig ist und so neue Technologien und Methoden kennenlernen. Wichtiges Ziel ist es, den Zugang zu digitalen Lernlösungen zu erleichtern. Dazu baut „regioLab“ in der Region Hannover Weiter­bildungsverbünde auf und betreut und berät diese.

Unternehmensnachfolge sichern

Dem Erhalt und der Sicherung von Arbeitsplätzen in der Region ­Hannover und Fachkräften aus ganz anderer Perspektive widmet sich ein weiteres Angebot der Wirtschaftsförderung der Region Hannover: die Online-Plattform rfolg.com. Diese Plattform bringt übergabe­würdige Unternehmen und potenzielle Käufer*innen zusammen. Man kann dort Verkaufsangebote oder Kaufgesuche einstellen. Expert*innen von Region Hannover, Handwerkskammer, Spar­kasse Hannover und Hannoverscher Volksbank, die rfolg.com ins Leben gerufen ­haben, ­moderieren den Nachfolgeprozess professionell. Ihr Ziel: Unternehmen am Markt halten, zwischen übergabewürdigen Firmen und Kaufinteressenten vermitteln und die Geschäftsabwicklung vereinfachen.

Informationen zu allen Angeboten und Projekten finden Interessierte unter www.wirtschaftsfoerderung-hannover.de.

Titelbild: Foto: Continental AG